Stadionknigge, oder: was ist los mit uns?

Ich kann die Position derer Verstehen, die auf Ausgleich setzen, versuchen wollen, eine Verständigung zu erreichen, denn mir ist auch klar, dass der Dialog meist die besten und nachhaltigsten Ergebnisse bringt.

Ich sehe aber auch, dass in der Vergangenheit Dialogversuche – aus welchen Gründen auch immer – nicht zum Erfolg geführt haben. Insofern muss dann eben auch mal durchgegriffen werden, um die geltenden Grenzen auch durchzusetzen. Und ich bin überzeugt, dass es bei den Ultras zu keinem Umdenken kommt, so lange die mit Samthandschuhen angefasst werden. Vor allem von Seiten der Vereine. Dass da zunächst die Stimmung kippen und es bei denen einen Aufschrei der Empörung geben wird, das ist mir auch klar. Aber den gab es auch als das Rauchverbot in Gaststätten eingeführt wurde. Und selbst das ist heute unter 95 Prozent der Raucher akzeptiert.


Abschließend: Wenn die Pyromanen schon nicht die Unversehrtheit ihrer Mitmenschen interessiert, dann sollten diese selbst ernannten »Stützen des Vereins« aber endlich erkennen, dass sie ihre angeblich so große Liebe Unsummen an Geldern kosten. Aber so weit geht deren Vereinsliebe dann scheinbar doch nicht. Und das lässt mich einigermaßen erstaunt fassungslos zurück und bestärkt mich in dem Glauben, dass da keine Verständigung durch Dialog zu finden sein wird.
This contribution was last edited by Devil_till_Death on Dec 8, 2023 at 7:47 PM hours

Also übersetzt; du hast vom Thema keine Ahnung, aber viel Meinung zu den Fachfragen.
Klartext: Es ist in der einschlägigen Forschung Konsens, dass die Wurzeln der Ultras bei den italienischen Arbeiter- und Studentenbewgungen liegen. Mit dieser Information kannst du anfangen, was du willst. Aber BITTE hör auf über Teilbereiche zu diskutieren, von denen du offensichtlich null plan hast.
Es ist legitim, Ultras und ihre Aktionen kacke zu finden. Es ist legitim, härtere Konsequenzen für Fehlverhalten zu fordern. Aber es Gicht da draußen noch andere Meinungen.

Beruhige dich, den Wikipedia-Artikel, den du gelesen hast, habe ich natürlich auch gelesen. Ich habe ja auch nie bestritten, dass die italienischen Ultras ihren Ursprung dort haben.
Allerdings bezweifle ich stark, dass davon irgendetwas bei der deutsche Ultrabewegung im Jahr 2023 übrig geblieben ist, bzw. jemals eine Rolle gespielt hat. Deshalb und da spreche ich dann auch mal Klartext, finde ich es absolut lächerlich und anmaßend, wenn sich hier und heute ein paar Hampel in schwarzen T-Shirts mit ihren Witzthemen darauf berufen aber das muss dich und andere ja nicht weiter stören.

Um das vielleicht etwas zu versachlichen und es in meine Terminologie zu übersetzen: Doch, Ja, die Genealogie ist wichtig, wenn man die DNA einer sozialen Welt entschlüsseln will, um sie in einen gemeinsamen Aushandlungsraum zu integrieren. Ein Schlüsseltext zum Verständnis moderner Gesellschaften ist z.B. die "Odysee" von Homer - und die ist mehr als zweieinhalbtausend Jahre alt und kein Christian Lindner würde sich da heute noch drauf berufen. Trotzdem drückt das dort entwickelte Narrativ einige Grundmuster aus, die heute noch kulturell wirkmächtig sind.

Mit den Ultras und ihren historischen Wurzeln ist das ähnlich gelagert. Natürlich spielen die Themen der damaligen italienischen Arbeiterbewegung bei ihnen keine Rolle mehr und sind sie auch sozialstrukturell ganz anders verortet. Aber ein bestimmtes Grundmuster im kollektiven Selbstverständnis hat sich da schon tradiert: Etwa die Überzeugung, dass "WIR" die eigentlichen Subjekte im Fußball sind und die mächtigen Vereine und Verbände nur auf unsere kollektive Aktivitäten reagieren, aber keine eigene Identität, Vision und Legitimation haben, für den Fußball sprechen zu können. Exakt so haben die Operaisten seinerzeit die Kapitalseite thematisiert. Es geht dabei um eine Strategie der kollektiven Selbstermächtigung, die sich einen Dreck um die gegebenen Machtverhältnisse schert und selbst die Agenda setzt, anstatt sich an institutionelle Vorgaben anzupassen. Man agiert also nicht defensiv "gegen" irgendwelche Vorgaben "von denen da oben" (z.B. Pyro-Verbote), sondern feiert die eigene "Kultur" und setzt sie den Verhältnissen schlicht entgegen. Das macht es dann natürlich auch mit der Kommunikation und Aushandlung so schwer.

Wenn man aber diese Genealogie kennt, weiß man etwas besser, aus welchem Selbstverständnis heraus sich das Gegenüber so "dreist" und "rücksichtslos" verhält. Jedes etwaige Kompromissangebot der Verbandsseite (z.B. kontrolliertes Abfackeln) wird nicht als Angebot einer gleichwertigen "Gegenseite" des Verbandes diskutiert und ggf. wertgeschätzt, sondern als defensive Reaktion auf die eigene Stärke gewertet. Man mag so einem Verhandlungsergebnis mal temporär zustimmen, wird aber dann von dieser neuen Wegmarke aus weiterhin sein eigenes Ding machen. Genauso reagiert man auch auf Repression. Deshalb führt der einzige Weg zu wirkmächtigen Aushandlungen dahin, ins Innere des Sinnhorizonts dieser ja durchaus rege diskutierenden Gruppen einzudringen (etwa per Diskussion mit deren "klugen Köpfen") und auf deren "selbstgesetzte" Gruppennormen einzuwirken. Denn es ist natürlich NICHT so, dass die völlig unabhängig vom gesellschaftlichen Kontext agieren und alles "autonom" gestalten könnten. Das mussten schon viele soziale Bewegungen (auch die Operaisten) schmerzlich erkennen, die als kollektive Selbstermächtigung gestartet und als Boomer-Establishment gelandet sind. Das Negieren des eigenen gesellschaftlichen Verhaftetseins ist das große kollektive Missverständnis solcher Bewegungen - und als deren blinder Fleck dann halt eben auch der Ansatzpunkt, auf sie einwirken zu können. Mit Verboten und Repression kommen die klar - aber nicht mit der harten Wahrheit, dass sie in Wirklichkeit als Bürgersöhnchen nichts weiter als kleine Pi.sser sind - und eben nicht Teil einer kollektiven Heldenreise (Odysee).

Und Ja, solche Tradierungen behalten auch dann ihre Wirkmächtigkeit, wenn die konkret handelnden Personen von all diesen Zusammenhängen keinen Schimmer mehr haben. So wie jeder aktuelle Blockbuster nach dem Grundmuster der Odysee funktioniert, ohne dass das irgendwer realisieren würde - erst recht nicht Regisseur und Drehbuchautor.
This contribution was last edited by Newtrial on Dec 9, 2023 at 9:36 AM hours

Ob jetzt wirklich heutige Drehbuchautoren und Regisseure den Ursprung der Heldenreise nicht mehr kennen, will ich nicht so pauschal aburteilen, immerhin führen das die Standardwerke immer noch an. Aber ja, das liest heute auch nicht mehr jeder.

Deiner Kernaussage will ich aber nicht widersprechen. Das seh ich auch so. Das Muster bleibt gleich. Ich bin nur nicht so überzeugt von dem moderativen Lösungsansatz, mit den klugen Köpfen der Bewegung zu sprechen. Die können genausogut auch die treibende Kraft und nicht der moderate Ausgleich sein. Ähnlich hat man immer versucht in rechte Strukturen einzuwirken, bis man verstanden hat, dass die "nicht nazi-stereotypen" Intellektuellen durchaus auch die Leute mit dem großen Plan sind.

@Marbod - Nein, "kluge Köpfe" sind keineswegs notwendigerweise moderat, da gebe ich dir völlig recht. Und ich schreibe ja selbst, dass jeder Kompromiss aus deren Selbstverständnis heraus nur ein Ergebnis eigener Stärke ist und die Bewegung keineswegs "pazifiziert". Diese Illusion habe ich nicht.

Es geht um etwas ganz anderes: Nichts ist gefährlicher als (kollektive) (Selbst)Isolation. Man denke nur an Sekten. Und nichts ist unwiderstehlicher als die Integration von Akteuren in ein übergreifendes Netz von Handlungsverpflichtungen. Am Deutschland nach Versaille und an Russland nach dem Scheitern von Glasnost lässt sich aber ablesen, dass äußerlich bleibende Absprachen, rein ökonomische Verflechtung und Verträge nicht ausreichen, um die entsprechende "Friedensdividende" einzufahren. Du musst darüber hinaus auf einen Kulturwandel hinwirken! Und das geht nur über Kommunikation, Netzwerkbildungen und das berühmte Commitment - und sei es nur in kleinen Detailfragen, die aber zeigen, dass man dem Gegenüber vertrauen kann, was die Einhaltung von Absprachen angeht. Deshalb war es so absolut verheerend, dass der DFB seinerzeit "wortbrüchig" wurde; ein guter Teil der aktuellen Situation ist darauf zurückzuführen. So etwas lässt sich kaum bis gar nicht mehr "heilen".

Das Lösungsmuster kannst du fast beliebig skalieren. So weiß man im Kinderschutz, wie wichtig es ist, die Familie aus der Sonderwelt ihrer sozialen Isolation herauszuholen. Totale Institutionen wie früher etwa Kinder-, Alten- und Pflegeheime (auch Gefängnisse) sind/waren Brutstätten des Missbrauchs und müssen zur Gesellschaft hin geöffnet werden; die ebenfalls in Italien starke Antipsychiatriebewegung hatte dies seinerzeit zum Gegenstand.

Wenn du die Situation verschlimmern willst, gehst du auf "Wegsperren" und soziale Isolierung von missliebigen Gruppen. Dann wird die Sonderwelt dort erst recht toxisch. Leider hat diese Sichtweise bei uns aber keine Lobby - stattdessen wird jeder Einzelfall, wo ein per Gutachten entlassener Straftäter rückfällig wird und Menschen Schaden zufügt, medial skandalisiert. Die Gegenrechnung, wieviel inhaftierte Straftäter erst im Knast zu gefährlichen Kriminellen geschult wurden, wird nicht aufgemacht. Sie fällt übrigens verheerend aus!

Noch kurz zur Korrektur meines vorherigen Beitrags: Ich hätte schreiben sollen, dass die Kenntnis der Odysee keine notwendige Bedingung dafür ist, einen Blockbuster nach deren Muster zu stricken. Natürlich gibt es aber Medienschaffende, die sich dieser Zusammenhänge bewusst sind.

Völlig richtig und genauso wenig haben sie das Recht sich heutzutage auf eine historische Bewegung in Italien zu berufen, weil sie, im Gegensatz zu den Menschen damals, kleine Pi..er mit Wohlstandsproblemen sind. Nichts anderes habe ich ausdrücken wollen.
This contribution was last edited by Troglauer on Dec 9, 2023 at 12:50 PM hours

Aus dem Spieltagsthread:


Die Stadionordnung gibt dies zwar ganz klar her - nach meinem Verständnis allerdings nur in Ausnahmefällen. Entsprechend kann man für solch eine Maßnahme eine Ankündigung vorab erwarten, was allerdings nicht geschehen ist (Fan-Infos zum Heimspiel gegen Hertha BSC).
Dann eigentlich nur noch erklärbar mit Vorkommnissen unmittelbar am Spieltag - kann das jemand aufklären?

Kicker.de
Der DFB Kontrollausschuss fordert 595k Euro Strafe für den FC Köln.
Mal völlig ohne Wertung. Mag sich jeder selbst einen Reim darauf machen.